Leise ratterte die Nähmaschine in dem kleinen Ankleidezimmer, in dem Madame Brouillard mit konzentriertem Blick Puppenkleider anfertigte. Neben ihr auf dem Tisch lag schon die fertige, erstaunlich lebensechte kleine Stofffigur. Die milchig-weiße Puppe starrte mit ihren großen, grünen Augen blicklos an die Decke des Raums. Nackt war sie und unschuldig, mit den Proportionen einer Fünfjährigen, nur grotesk verzerrt, mit weichem, fast konturlosem Stoff. Die Nähte waren so gut versteckt, dass man sie nicht sehen konnte. So wirkte es, als würde eine Miniaturausgabe eines kleinen Kindes, ohne Atem oder Herzschlag, ohne Kleidung und ohne Schutz, hilflos herumliegen.
Beinahe liebevoll schnitt die haitianische Schwarzmagierin Madame Brouillard das letzte Stück Faden von dem pinken, detailverliebten Kleidchen. Mit sorgsamen Bewegungen zog sie der Puppe das Kleidungsstück über, dann betrachtete sie das kleine Wesen einen Augenblick lang kritisch.
„Du wirst meiner Tochter zum Sieg verhelfen“, flüsterte sie dem Fluchidol zu. Dann senkte sie ihre Stimme, und gutturale, schnarrende Gurrlaute ertönten. Die Luft vibrierte von ihrem Zauber, der die kleine Puppe vollkommen einhüllte. Sie schien für einen Moment in dunklen, fast öligen Rauch eingehüllt zu sein. Dann verpuffte er, hinterließ nur den stechenden Geruch von Schwefel und metallischem Blut. Die Puppe blinzelte.
Die Schwarzmagierin lauschte. Von außerhalb ihres kleinen Nähzimmers konnte sie schon das Anschwellen der Musik hören. Es war an der Zeit.
Die Schwarzmagierin strich sich ihr buntes, mit traditionell geometrischen Mustern verziertes Gewand zurecht. Dann band sie ihr Kopftuch neu, sodass ihre schwarzen Haare komplett unter weiteren Farbtüchern verschwanden.
Sie hielt die Puppe an den dünnen, zerbrechlichen Ärmchen vor sich und wartete.
„Und nun, verehrte Juroren, die diesjährige Favoritin: Brittany Delaware!“
Die fröhlich-verspielte Kindermusik wurde wieder lauter, nachdem der Ansager seine kleine Vorstellung beendet hatte.
Madame Brouillards Gesicht verzerrte sich vor Ärger. Wie dieses unsägliche Balg jemals statt ihrer Tochter zur Titelkandidatin des Beauty Pageants hatte werden können, war ihr ein Rätsel. Bei diesen Schönheitswettbewerben nahmen nur die bestaussehenden Mädchen teil – und zu denen gehörte dieses Kind sicher nicht. Aber nun hatte die Stunde der kleinen Brittany geschlagen. Sie würde diesen Abend nicht überstehen. Und dann würde Madame Brouillards eigener Spross, Angelique, die Show gewinnen. Dann war Angelique die schönste Fünfjährige im Land.
Die finstere Magierin griff an den Kragen des Puppenkleids. Dort war ein Faden angebracht, mit dem sich der Kragen enger ziehen ließ. Madame Brouillard lauschte.
„Brittany Delaware zeigt sich heute im Püppchenkleid – diese rosafarbene, verspielte Variation des klassischen Prinzessinnenkleids besticht mit Rüschen in Türkis! Die Schleifchen an den Ärmeln sind in ihrer eleganten Hochsteckfrisur wieder aufgegriffen und verleihen dem Ensemble kindlichen Charme.“
Was für ein Dummschwätzer, dachte Madame Brouillard. Als ob der Ansager irgendeine Ahnung von wahrem Charme, von Eleganz oder Schönheit hatte.
Vor Abscheu verzogen sich ihre Mundwinkel, und ihre schwarzen Augen sprühten vor Hass. Die dicken, dunkel beschmierten Finger der Voodoo-Hexe schlossen sich um den dünnen weißen Faden.
Als sie ihn zuzog, ertönten von der Bühne her entsetzte Schreie.
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