Novak Tarić hatte sich an der Bar der kleinen Kneipe niedergelassen und bei der Barkeeperin einen Drink bestellt. ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ waren ihm dabei nicht über die Lippen gekommen. Doch die Frau hinter dem Tresen konnte mit der ungehobelten Art des Serben sehr gut leben. Sie war schon froh, dass Tarić heute nicht so wirkte, als sei er auf Ärger aus. Einmal hatte sie miterleben müssen, wie ein ziemlich angetrunkener Gast nicht mehr erkennen konnte, wie gefährlich und brutal der Mann war, mit dem er sich da anlegte. Der Serbe gewann natürlich blitzschnell die Oberhand und hätte es dabei gut bewenden lassen können. Doch dann hatte er das Gesicht seines hilflosen Gegners mit solcher Wucht gegen die Messingstange am Bartresen gedonnert, dass der sowohl im Unter- als auch im Oberkiefer sämtliche vorderen Zähne verlor.
Novak Tarić war wirklich ein skrupelloser Mann, sonst hätte er auch nicht den Job machen können, mit dem er jetzt schon seit mehr als zehn Jahren seinen Lebensunterhalt verdiente. Tarić war der Boss der Schlägerbande der Familie Montana, wobei Schlägerbande ein wirklich beschönigender Begriff für diese Truppe von Mördern und Totschlägern war.
Die Montanas waren der wahrscheinlich mächtigste Mafiaclan in ganz New York City, und da gab es immer etwas zu tun für Tarić und seine Leute. Mal musste konkurrierenden Türstehern der nötige Respekt eingebläut werden. Mal mussten Nutten, die es vergessen hatten, wieder klargemacht werden, wo ihre Bordsteinkante war. Mal mussten Drogenlieferungen von den Docks in das familieneigene Lagerhaus überführt werden. Mal mussten Schmiergelder ausgeteilt oder ausstehende Zahlungen eingetrieben werden. Novak und seine Leute fragten nicht lange, sie machten einfach.
Dass die Montanas mehr waren als ein Mafiaclan, das war Tarić schon lange klar. Da gab es ganz offensichtlich ein finsteres Geheimnis. Doch sein krimineller Instinkt sagte ihm, dass es besser sei, das gar nicht so genau wissen zu wollen.
Allerdings war ihm nicht verborgen geblieben, dass die Stimmung im Hause seiner Arbeitgeber deutlich gelitten hatte. Clan-Chef Claudio und seine Frau Alessandra hatten ihren ältesten Sohn Vito nur noch als Leiche aus einem gottverdammten Nest namens East Aurora im Norden des Staates nach Hause holen können. Irgendjemand musste dort den Kronprinzen der Montanas oberhalb des Hosenbundes fein säuberlich in zwei Teile zerlegt haben. Gerüchten zufolge waren Cops beteiligt. Doch Novak hatte da so seine Zweifel. Der New Yorker Polizei war so manches zuzutrauen. Doch Leute zerstückeln, das stand wirklich nicht auf deren Speisekarte. Jedenfalls war die Aufregung damals groß gewesen, doch mittlerweile gab es im Hause Montana zu diesem Thema nur noch eisiges Schweigen.
Tarić Blick wanderte zu dem Pärchen, das an dem kleinen Tisch in der linken Ecke der Kneipe saß. Die Frau war genau nach seinem Geschmack, hellrote Haare, schlank und irgendwie osteuropäisch. Zu dem Typ hätte der Claudio Montanas Mann fürs Grobe kaum etwas sagen können. An Männern interessierte Novak Tarić nur, ob sie ihm gefährlich werden konnten. Dieser hier war zu schmal und zu jung, um einem gestandenen Kämpfer wie ihm in die Quere kommen zu können.
Das Pärchen stritt schon, seit es am Tisch Platz genommen hatte, und die Auseinandersetzung nahm an Lautstärke beständig zu. Tarić war nicht entgangen, dass die junge Frau ihm bisweilen einen Hilfe suchenden Blick zugeworfen hatte. Er würde das Geschehen im Auge behalten, beschloss der Serbe. Nicht, weil er plötzlich das Bedürfnis hatte, den Gentleman zu spielen, nein, das ganz sicher nicht. Aber vielleicht ersparte ihm das, was sich zwischen den beiden jungen Leuten abspielte, die Kosten für eine Escort-Lady, die sonst in dieser Nacht sicher noch auf ihn zukommen würden. Ja, diese Rothaarige suchte nicht nur nach Hilfe, sie hatte eindeutig auch Gefallen an ihm gefunden, da war sich Novak sicher. Zwar gab es zu Hause auch eine Frau und eine Tochter. Doch damit nahm es der Serbe nicht so genau.
Der Streit des jungen Pärchens eskalierte wie auf Stichwort. Erst flogen lautstarke Beleidigungen hin und her, dann sprang der junge Mann auf und holte aus. Doch bevor er zuschlagen konnte, war Novak Tarić bei ihm und packte dessen Handgelenk mit eiserner Faust. Mit der anderen Hand versetzte der Serbe seinem Gegenüber eine donnernde Ohrfeige.
„Für dich ist der Abend beendet.“
Novaks Stimme klang ruhig, aber gefährlich. Der Mann fürs Grobe gab seinem Gegner einen heftigen Stoß in Richtung Kneipentür. Der junge, schwarz gekleidete Mann stürzte, rappelte sich wieder auf, warf seinem Peiniger einen letzten, verschreckten Blick zu und stürmte aus dem Laden.
Novak schenkte der jungen Frau ein Lächeln, das er für charmant hielt. Eine Einschätzung, mit der er allerdings ziemlich allein stand.
„Ich glaube, wir beide haben jetzt einen Drink verdient“, säuselte der grobschlächtige Mann.
Doch die Rothaarige hob abwehrend die Hände.
„Nein, danke, wirklich nicht. Aber dürfte ich Sie bitten, mich nach Hause zu begleiten. Ich habe Angst, dass er mir auflauert.“
Ihre Stimme klang erstaunlich rauchig und sexy.
„Einen Drink gibt es dort auch“, setzte sie hinzu und warf ihrem Gegenüber einen ziemlich eindeutigen Blick zu.
Das läuft ja noch besser, als er erwartet hatte, ging es Tarić durch den Kopf. Er bot der jungen Frau seinen Arm an und wollte in Richtung Ausgang gehen, doch die Rothaarige hielt ihn zurück.
„Nein, lieber durch den Hinterausgang. Der lungert bestimmt da draußen herum.“
Unmerklich hatte die Frau die Führung übernommen und geleitete den Serben auf den Hinterhof der Kneipe. Dort blieb sie stehen, warf ihrem Gegenüber einen völlig unzweideutigen Blick zu und hob beide Hände so, als wolle sie sein Gesicht packen, um ihn zu küssen. Novak schloss die Augen. Doch im selben Moment schloss sich eine eiskalte Schlinge um seinen Hals. Entsetzt wollte der Serbe danach greifen. Doch da war nichts, wonach man hätte greifen können, und dennoch wurde ihm die Luft abgeschnitten.
Die junge Frau stand vor ihm und hielt ihre Hand so, als lägen darin die beiden losen Enden dieser unsichtbaren Schlinge. Eine leichte Drehung und der Druck auf Tarićs Kehlkopf nahm zu.
„Ich fürchte, ihr Schäferstündchen mit meiner Partnerin muss ausfallen.“
Mit Entsetzen erkannte Novak den jungen Mann, der gerade aus dem Schatten getreten war. Der Serbe hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Er war in die Falle getappt wie ein notgeiler Schuljunge.
„Was wollt ihr von mir?“, presste er hervor.
„Nichts, was du uns hier und jetzt geben könntest. Dazu werden wir wohl eine Reise machen müssen.“
Die Antwort des jungen Mannes klang geschäftsmäßig und gefährlich zugleich.
„Wo wollt ihr mich hinbringen?“, wendete sich Novak an die rothaarige Frau. Erst dann sah er das gefährlich flackernde Feuer in ihren Augen.
Ihre Antwort klang wie ein Todesurteil: „In die Hölle.“
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